Warum muss über Air 2030 überhaupt abgestimmt werden? Was ist das Hauptziel der Gegner der Vorlage und wieso braucht eine Flugzeug Evaluation viel Zeit? Ständerat Werner Salzmann gibt im Interview mit dem SCHWEIZER SOLDAT Einblick in den politischen Aspekt von Air 2030.

Das Schweizer Volk kann am 27. September über den Planungsbeschluss des Bundesrats über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge mit einem Finanzvolumen von 6 Milliarden Franken abstimmen. Warum muss über diesen Planungsbeschluss abgestimmt werden?
Ständerat Werner Salzmann: Eigentlich sind Beschaffungen für die Armee über die Armeebotschaft ordentlich zu genehmigen. Bei der Beschaffung neuer Kampfflugzeuge ist die politische Ausgangslage so, dass bereits in den 90er Jahren aufgrund einer Volksinitiative über den Kauf des FA-18 abgestimmt worden ist. Zudem hat das Volk 2013 nach einem Referendum der Einrichtung eines Gripenfonds für die Teilerneuerung der Flugwaffe leider nicht zugestimmt. Man konnte also bei der jetzigen Vorlage davon ausgehen, dass das Volk auf jeden Fall darüber abstimmen wird.
Die Frage war deshalb für den Bundesrat nur, legen wir dem Volk den Zahlungsrahmen proaktiv vor und halten den Zeitplan und die Zügel für die Beschaffung mit einer möglichen Referendumsabstimmung in der eigenen Hand oder riskieren wir eine durch die Beschaffungsgegner gesteuerte Diskussion im Rahmen einer Volksinitiative, mit der der Zeitplan für die Beschaffung nicht mehr unter Kontrolle gehalten werden kann. Vor diesem Hintergrund war schnell klar, dass es aus demokratischen und taktischen Gründen sinnvoll ist, dem Volk einen Planungsbeschluss vorzulegen. Es ist sicher ein einmaliger Prozess in einer speziellen Ausgangslage, der kein Präjudiz für die kommenden Armeeausgaben bilden darf.
Der Bundesrat schreibt: Ohne neue Kampfflugzeuge wäre die Armee nicht mehr fähig, ihre Aufgaben gemäss Bundesverfassung und Militärgesetz zu erfüllen. Was sind die Konsequenzen bei einer Ablehnung der Vorlage für die Schweiz?
Salzmann: Die Konsequenzen wären, dass wir unsere Bevölkerung ab 2030 nicht mehr vor Angriffen und Gefahren aus der Luft beschützen könnten, keine internationalen Konferenzen in der Schweiz durchgeführt werden könnten und die Armee als Ganzes und deren Verfassungsauftrag in Frage gestellt würden.
Wieso hat der Bundesrat im Planungsbeschluss die bodengestützte Luftverteidigung ausgeschlossen?
Salzmann: Der Entscheid ist wohl basierend auf der Mehrheit der Rückmeldungen zur Vernehmlassung so ausgefallen. Mir wäre eine gemeinsame Beschaffung der Kampflugzeuge und der bodengestützten Luftverteidigung lieber gewesen, weil sie taktisch und operativ zusammengehören und die Frage bei der kommenden Abstimmung «wollen wir weiterhin eine glaubwürdige Armee» noch akzentuierter hätte gestellt werden können. Der Handlungsspielraum für die Anzahl Kampfflugzeuge wäre auch gegeben gewesen. Es gilt aber jetzt im Interesse unseres Landes die Kräfte zu bündeln und uns voll und ganz hinter die Entscheidung zu stellen.
Im Bundesratsbeschluss steht: Die genaue Anzahl der zu beschaffenden Flugzeuge ist noch offen. Die evaluierten Flugzeuge unterscheiden sich in Kosten und Leistung, was direkt beeinflusst, wie viele Flugzeuge aus militärischer Sicht nötig und innerhalb des maximalen Finanzvolumens beschaffbar sind.
Salzmann: Basiert die Anzahl der zu beschaffenden Flugzeuge also auf einem Finanzvolumen und nicht auf einer sicherheitspolitischen Lage-Analyse?
Diese Frage können wir uns bei jedem Armeebudget stellen. In der Vergangenheit war es leider immer der Finanzrahmen und nicht die sicherheitspolitische Lage, die sich ja nicht jedes Jahr grundlegend ändert, welche bestimmend waren für die Frage, was beschafft werden soll.
Je nach Typ, den wir dann hoffentlich nach einer positiven Abstimmung am 27.9.20, beschaffen können, wird die Anzahl unterschiedlich sein. Der BR hat uns am 15.6.20 das Ergebnis einer Untersuchung der Rüstungsbeschaffung gezeigt. Künftig soll sich das Parlament aufgrund des Sicherheitspolitischen Berichtes strategisch mit der Erneuerung der Kampfmittel befassen und somit der Verantwortung für die Fähigkeiten der Armee tragen, wenn aufgrund finanzpolitischer Überlegungen Kampfmittel nicht zeitgerecht oder gar nicht ersetzt werden sollen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung und transferiert die Verantwortung an die richtige Stelle.
Bundesrätin Amherd kommunizierte klar: Ohne die neuen Kampfjets und eine moderne Bodenluftverteidugung kann die Armee ihren Auftrag nicht mehr wahrnehmen. Weshalb wollen SP, Grüne und GSoA die Schweizer Bevölkerung nicht schützen und den verfassungsmässigen Auftrag verhindern?
Salzmann: Das Ziel der genannten Parteien ist es, die Armee abzuschaffen (das kann auch im Parteiprogramm nachgelesen werden). Aus diesem Grund nehmen sie auch jede Gelegenheit wahr, die Beschaffung der notwendigen Mittel zu verhindern oder zu vermindern. Weil eine Gesamtabschaffung gescheitert ist, haben sie nun diese Salamitaktik, die schrittweise Schwächung der Armee, eingeschlagen. Es ist unsere Aufgabe, diese taktisch zu durchschauen und den Bürgerinnen und Bürgern der Schweiz klar zu machen, welches Oberziel sie verfolgen.

Die SP will die Schweizer Armee abschaffen. Trotzdem beantragt sie ein leichtes militärisches Trainingsflugzeug als Mittel der Luftverteidigung. Wie geht das Parlament mit diesem eklatanten Widerspruch um?
Salzmann: Das Vorgehen der SP, mit einer Delegation zu einem italienischen Flugzeughersteller zu reisen, wenn sich gleichzeitig die sicherheitspolitische Kommission des NR und SR darauf geeinigt haben, in der Phase bis zur Abstimmung zum Planungsbeschluss keine Flugzeughersteller zu besuchen, ist schon sehr fragwürdig und politisch bedenklich.
Der Vorschlag, ein leichtes militärisches Trainingsflugzeug genüge für den Luftpolizeidienst zeigt auch, dass man in der SP fachlich und sachlich nicht auf der Höhe ist. Schon aus physikalischen Gründen ist es nicht möglich, einen modernen ausländischen Kampfjet mit einem Leichtflugzeug luftpolizeilich dazu zu zwingen den Luftraum zu verlassen oder zur Landung zu zwingen. Oder wollen sie der Polizei auch Velos geben, um Ferraris zu verfolgen?
Nicht Teil des Planungsbeschlusses ist der zu beschaffende Flugzeugtyp. Darüber entscheidet später der Bundesrat. Hat die Schweizer Bevölkerung Gewähr, dass die laufende Evaluation jetzt fachlich und ebenso umfassend Grundlage für den Bundesratsentscheid sein wird?
Salzmann: Die laufende Evaluation ist sehr sorgfältig geplant und professionell durchgeführt worden. Ich vertraue unserem Projektteam.
Die Verankerung der Legitimation einer Luftwaffe, die Akzeptanz gegen innen und aussen sowie die Sicherstellung der Ressourcen sind die zwei kritischen Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Zukunft der Schweizer Luftwaffe. Welche Überlegungen werden dazu in unserem Parlament gemacht?
Salzmann: Die Akzeptanz der Armee und auch der Luftwaffe ist in unserem Land glücklicherweise nach wie vor sehr hoch. Leider erleben wir um Umfeld der Flugplätze immer wieder Widerstand, sogar in armeefreundlichen Kreisen infolge von Fluglärm. Die Flugwaffe ist auf ein Minimum an Flugstunden angewiesen. Aus diesen Gründen ist es politisch sehr wichtig, dass sich der BR in einem engen Austausch mit den betroffenen Gemeinden befindet, damit die örtliche Bevölkerung rechtzeitig und gut informiert werden.
Durch das neue Standortkonzept des VBS wurde auf Militärflugplätze verzichtet. Das wird die verbleibenden nicht entlasten. Wir haben in der sicherheitspolitischen Kommission bereits angeregt, auf die Entscheide zurück zu kommen. Eine Dezentralisierung der Start- und Landemöglichkeiten ist auch aus taktischer Sicht sinnvoll. Für mich sind auch die Flugschauen der Luftwaffen ein sehr gutes Mittel, um der Bevölkerung aufzuzeigen, welchen Verteidigungswert eine moderne Luftwaffe hat.
Gegenüber der weltweit ausgelösten Aufrüstung muss die Neutralität der Schweiz im Luftraum bedarfs- und zeitgemäss bewaffnet bleiben. Luftwaffen werden mit modernsten Mitteln erneuert. Wieso geht eine Flugzeug-Evaluation in der Schweiz zehn Jahre?
Salzmann: Das ist eine berechtigte Frage, die ich nur teilweise beantworten kann. Dass wir ein neues Kampfflugzeug auch in der Schweiz, in unseren geographischen Verhältnissen testen müssen, steht für mich ausser Frage. Das braucht seine Zeit. Da die Beschaffungsreife bisher als Voraussetzung galt, wird die Zeitspanne für eine Evaluation auch verlängert. Zudem besteht die Gefahr, dass im Zeitpunkt der Beschaffung die Flugzeuge schon wieder überaltert sein werden. Mit der neuen Rüstungsbeschaffungsart, die am 15.6.20 vorgestellt wurde, will der BR die Beschaffungsdauer verkürzen und dafür sorgen, dass die Geräte im Zeitpunkt der Beschaffung auf dem neusten Stand sind.
Herr Ständerat, vielen Dank für Ihre Stellungnahme. Möchten Sie den Lesern und Leserinnen des SCHWEIZER SOLDAT noch etwas miteilen, was wir bisher nicht gefragt haben?
Salzmann: Auch wenn in einem oder andern Punkt unterschiedliche Positionen möglich sind, ist es sehr wichtig, dass im Hinblick auf die Abstimmung die Reihen geschlossen werden. Es geht um am 27. September um sehr viel für unser Land, nämlich um die Sicherheit unserer Bevölkerung.
Quelle: Schweizer Soldat, Juli/August 2020